Der Krieg in Tigray: Erklärung des Internationalen Zentrums für ethno-religiöse Mediation
Das Internationale Zentrum für ethnisch-religiöse Mediation verurteilt den anhaltenden Krieg in Tigray aufs Schärfste und fordert die Entwicklung eines nachhaltigen Friedens.
Millionen wurden vertrieben, Hunderttausende wurden misshandelt und Tausende wurden getötet. Trotz des von der Regierung angekündigten humanitären Waffenstillstands herrscht in der Region nach wie vor ein völliger Stromausfall, es kommen nur wenige Lebensmittel oder Medikamente herein und es gelangen nur wenige Medieninformationen heraus.
Da die Welt zu Recht gegen die anhaltende Aggression Russlands gegen die Ukraine ist, darf sie die unerträglichen Bedingungen, unter denen das äthiopische Volk lebt, nicht vergessen.
Das Internationale Zentrum für ethnisch-religiöse Mediation ruft alle Seiten dazu auf, die Einstellung der Feindseligkeiten zu respektieren und Friedensverhandlungen erfolgreich zu führen. Wir fordern außerdem die sofortige Öffnung humanitärer Korridore, um die Lieferung von Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten und anderen lebensnotwendigen Gütern an die Tigray-Bevölkerung zu ermöglichen.
Wir erkennen zwar die Komplexität der Festlegung eines Rahmens für eine Regierungsführung an, der dem multiethnischen Erbe Äthiopiens angemessen Rechnung trägt, glauben jedoch, dass die beste Lösung für den Tigray-Konflikt von den Äthiopiern selbst kommen wird, und unterstützen den Rahmen, den die A3+1-Vermittlungsgruppe dargelegt hat um die anhaltende Krise zu beenden. Der „Nationale Dialog“-Prozess bietet Hoffnung auf eine mögliche diplomatische Lösung dieser Krise und muss gefördert werden, kann jedoch nicht als Alternative zur Gesetzgebung dienen.
Wir fordern Abiy Ahmed und Debretsion Gebremichael auf, persönliche Verhandlungen miteinander aufzunehmen, damit der Konflikt so schnell wie möglich gelöst werden kann und die Zivilbevölkerung von sich ständig wiederholenden Gewaltzyklen verschont bleibt.
Wir fordern die Staats- und Regierungschefs außerdem auf, internationalen Organisationen die Untersuchung potenzieller Kriegsverbrechen zu ermöglichen, die von der Regierung, den eritreischen Truppen und der TPLF begangen wurden.
Alle Seiten müssen ihr Bestes tun, um Kulturerbestätten zu bewahren, da diese einen großen Wert für das kulturelle Gefüge der Menschheit darstellen. Stätten wie Klöster bieten einen großen historischen, kulturellen und religiösen Wert und sollten daher erhalten bleiben. Auch Nonnen, Priester und andere Geistliche dieser Stätten sollten nicht gestört werden, unabhängig von ihrer ursprünglichen ethnischen Herkunft.
Zivilisten sollten das Recht auf faire Verfahren garantiert werden, und diejenigen, die außergerichtliche Tötungen begangen und unmenschliche Akte sexueller Gewalt begangen haben, sollten zur Rechenschaft gezogen werden.
Dieser brutale Krieg wird nicht enden, bis sich die Staats- und Regierungschefs beider Seiten verpflichten, ihre vergangenen Probleme zu lösen, die anhaltende humanitäre Massenkrise zu bewältigen, mit der Machtmacherei aufzuhören und in gutem Glauben miteinander umzugehen.
Die kürzliche Einstellung der Feindseligkeiten ist ein positiver Schritt nach vorn, allerdings muss es ein langfristiges Friedensabkommen geben, das eine dauerhaft stabile Zivilgesellschaft für kommende Generationen gewährleisten kann. Es bleibt am besten den Äthiopiern und ihrer Führung überlassen, wie dies zustande kommen kann, wobei internationale Vermittlung eine Schlüsselrolle spielen sollte.
Damit ein erfolgreiches, freies Äthiopien aus der Asche dieses grausamen Krieges auferstehen kann, muss die Führung auf beiden Seiten bereit sein, Kompromisse einzugehen und gleichzeitig die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Status quo, der Tigray gegen den Rest Äthiopiens antritt, ist von Natur aus unhaltbar und wird in Zukunft nur zu einem weiteren Krieg führen.
ICERM fordert einen sorgfältig eingerichteten Vermittlungsprozess, der unserer Meinung nach das wirksamste Mittel ist, um eine erfolgreiche diplomatische Lösung und Frieden in der Region zu erreichen.
Frieden muss mit Gerechtigkeit erreicht werden, sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Konflikt erneut manifestiert und die Zivilbevölkerung weiterhin den hohen Preis zahlen muss.
Konfliktsysteme in Äthiopien: Eine Podiumsdiskussion
Die Diskussionsteilnehmer diskutierten den Tigray-Konflikt in Äthiopien und konzentrierten sich dabei auf die Rolle historischer Narrative als Schlüsselkraft für den sozialen Zusammenhalt und die Fragmentierung in Äthiopien. Indem das Gremium das Erbe als analytischen Rahmen nutzte, vermittelte es ein Verständnis für die gesellschaftspolitischen Realitäten und Ideologien Äthiopiens, die den aktuellen Krieg vorantreiben.
Datum: 12. März 2022 um 10:00 Uhr.
Diskussionsteilnehmer:
Dr. Hagos Abrha Abay, Universität Hamburg, Deutschland; Postdoktorand am Center for the Study of Manuscript Cultures.
Dr. Wolbert GC Smidt, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland; Ethnohistoriker mit über 200 Forschungsartikeln, hauptsächlich zu historischen und anthropologischen Themen mit Schwerpunkt auf Nordostafrika.
Frau Weyni Tesfai, Alumna der Universität zu Köln, Deutschland; Kulturanthropologe und Historiker im Bereich Afrikastudien.
Vorsitzender des Gremiums:
Dr. Awet T. Weldemichael, Professor und Queen's National Scholar an der Queen's University in Kingston, Ontario, Kanada. Er ist Mitglied der Royal Society of Canada, College of New Scholars. Er ist ein Experte für zeitgenössische Geschichte und Politik am Horn von Afrika, über die er zahlreiche Vorträge gehalten, geschrieben und veröffentlicht hat.